Erfahrungsbericht Integra in Pristina
Ein bisschen Kaffeekultur Kosovo… von Djellza
Djellza war 2017/18 mit uns für ihren freiwilligen Friedensdienst in Pristina und hat bei Integra gearbeitet. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen.
Kaffee hat hier im Kosovo eine sehr große Bedeutung. Nicht der Kaffee selbst, denn ein wenig Kaffeepulver mit ganz viel Milchschaum und viel zu viel Zucker geht auch schon als solcher durch. Nicht der Kaffee, sondern viel mehr die Aktivität „Kaffee trinken gehen“ ist bedeutend. Es ist eine Art Freizeitbeschäftigung, ein Hobby. Hitzige Diskussionen über die neusten politischen Entwicklungen, die veraltete Mentalität, die täglichen Ungerechtigkeiten und Korruption oder nur simpler Smalltalk über das Wetter mit Blick aufs Smartphone. All das geschieht beim täglichen 1-Euro Macchiato. Beim Kaffee trinken trifft man Freund*innen, tauscht sich aus und sitzt gleichzeitig in einem schönen Café, das einen glauben lässt man wäre gerade in einer hippen Metropole. Eben an genau einem der Orte, zu denen man als junge Erwachsene aus dem Kosovo hin möchte. Mittlerweile habe ich mich schon sehr angepasst: Ein Kaffee am Morgen im Büro mit meiner Kollegin, ein Zweiter am Nachmittag. Wo geht man nach der Arbeit mit Freund*innen hin? Ja, genau, ins Café! Es ist fast 12 in der Nacht? Nicht zu spät für einen kleinen Macchiato!
Am 17. Februar dieses Jahres feierte Kosovo seinen 10-ten Geburtstag. 10 Jahre Kosovo –trotz vieler Probleme im Land, für die meisten ein positives Zeichen und ein Grund dafür, auf eine gute Zukunft zu hoffen. Doch wie in die Zukunft schauen mit Ballast aus der Vergangenheit? Kurz nach dem Kosovokrieg 1998-1999 galten ca. 4300-4400 Personen als vermisst. Heute sind es immerhin noch 1650 Personen. Verständlich, dass für viele Familien im Kosovo die Unabhängigkeit nicht viel bedeutet. Was nützt mir ein souveräner Staat, der es nicht schafft, meine Kinder, meine Geschwister, meine Eltern wiederzufinden? Zwanzig Jahre nach dem Krieg? – So denken viele. Sie fühlen sich allein gelassen von der Regierung und vergessen von den Menschen im Land. Um auf dieses sensible Thema aufmerksam zu machen, hat Integra in Kooperation mit dem Forum ZFD das Projekt „Missing people through the eyes of camera“ gestartet, welches zum Ziel hat, die Angehörigen der Vermissten zu Wort kommen zu lassen, indem ihnen eine Plattform geboten wird, wo sie ihre Geschichte und ihre Botschaft mit Menschen teilen können. Während der Interviews werden professionelle Fotos gemacht, die dann mit Untertiteln und Musik zu Videos verarbeitet und auf einem der nationalen Fernsehsender ausgestrahlt werden. Außerdem wird es dazu bald eine Ausstellung der Fotografien und ausgewählter Zitate im Regierungsgebäude geben, um direkt bei der Politik Druck auszuüben.
Meine Rolle als Freiwillige in dem Projekt war es, die Interviewaudios zu transkribieren. Ich hatte die Familien nicht gesehen, hatte lediglich das Audiomaterial. Nur die Stimmen und dazu die Geschichten zu hören war nicht immer einfach. Ein paar Tage später war ich im Zuge des „Internationalen Tages für das Recht auf Wahrheit über schwere Menschenrechtsverletzungen“ auf einer Konferenz, um zu fotografieren. Nachdem die Panelist*innen gesprochen hatten, kam das Publikum zu Wort. Schließlich wurde ein Mann aufgerufen, dessen Namen ich nicht sofort verstand, ihn aber sofort an seiner Stimme wiederkannte. Es war ein Familienvater, dessen Interview ich ein paar Tage zuvor transkribiert hatte. Er hatte im Krieg zwei Söhne verloren, die bis heute nicht wiedergefunden wurden. Er erzählte vor allen, dass nicht zu wissen, wo seine Kinder waren und immer mit der kleinen Hoffnung leben zu müssen, dass sie doch noch leben, auch nach 20 Jahren, für ihn als Vater nicht immer einfach ist.
Seine Kinder seien doch längst tot nach immerhin 20 Jahren, sagt die Regierung zu ihm. „Lebend haben wir sie verloren, lebend werden wir sie suchen“. Diesen Satz wiederholt er genauso wie im Interview mehrmals an diesem Tag.