Zentrum für Dialog in Gebet in Oświęcim

30. September 2019 0 Von admin

Cześć! Von Isabell

Isabell war 2017/18 mit uns für ihren freiwilligen Friedensdienst in Oswiecim und hat im Zentrum für Dialog und Gebet gearbeitet. Hier berichtet sie von ihren Erlebnissen. 

Woran merkt man in Oswiecim, dass es Frühling wird? Als normale Bürgerin der Stadt vermutlich daran, dass die Temperaturen den Minusbereich verlassen, es nicht mehr schon um 5 stockdunkel ist und sogar der letzte blinkende Tannenbaum aus dem Stadtbild verschwinden musste. Als Freiwillige zusätzlich durch eine Mail, die daran erinnert, dass seit dem letzten Rundbrief, den man im Januar geschrieben hat, schon wieder 3 Monate vergangen sind.

Drei Monate in denen hier etwas mehr passiert ist, als nur eine Änderung der Temperaturen und der Jahreszeit.

Deshalb jetzt erst einmal einen Sprung zurück in den Winter, in dem der letzte Newsletter geendet hat, zum 27. Januar, dem Tag der Befreiung von Auschwitz.

Schon Tage davor herrschte dafür im Zentrum für Dialog und Gebet der Ausnahmezustand, da dieses für die Ausrichtung der Feierlichkeiten mit dem staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau kooperiert. Viele Teilnehmende, darunter auch viele Überlebende, haben daher im Zentrum übernachtet, auch fanden dort im Vorfeld einige Treffen und Interviews statt, für die Journalist*innen aus allen Teilen der Welt, unter anderem aus den USA und China, angereist kamen.

Die Feier selber am 27. Januar bestand aus zwei offiziellen Teilen: einem im Stammlager am Mittag und einem in Auschwitz-Birkenau am Abend, an dem ich teilnehmen durfte. Im Gebäude der ehemaligen sogenannten „Zentralen Sauna“ in Birkenau, das früher zur Selektion und Registrierung von Häftlingen vor der Aufnahme in das Lager gedient hatte, wurden dazu verschiedene Reden gehalten, unter anderem vom polnischen Premierminister, der israelischen Botschafterin und dem russischen Botschafter.

Besonders beeindruckt haben mich aber dabei die Reden von zwei ehemaligen Häftlingen, Maria Hörl und Bronisława Karakulska (geb. Horowitz, sie war eines der Kinder auf Schindlers Liste) und dem Direktor des staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Dr. Piotr M.A. Cywiński, in der er auf sehr intensive Weise darauf eingegangen ist, wie wenig die Menschheit heute anscheinend aus Auschwitz und der Geschichte gelernt hat (Unter dieser Adresse http://auschwitz.org/en/museum/news/73rd-anniversary-of-the-liberation-of-the-german-nazi-auschwitz-camp,1294.html hat das Museum die komplette englische Version seiner Rede zum Nachlesen veröffentlicht. Dort gibt es auch ein Video, in dem man sich alle an dem Abend gehaltenen Reden anhören und anschauen kann).

Mit Frau Hörl konnte ich mich nach dem offiziellen Teil der Feierlichkeiten, beim Abendessen im Zentrum für Dialog und Gebet sogar noch etwas unterhalten, wobei sie sehr nett und mit viel Energie gesprochen nochmal betont hat, wie wichtig es ihr war, ihre Geschichte zu teilen, zumindest so wie ich sie mit meinem Polnisch verstanden habe. Das war natürlich ein ganz besonderes Gespräch für mich.

Nach den Reden folgte ein gemeinsames Gebet von Repräsentant*innen des Judentums, der evangelischen, orthodoxen und katholischen christlichen Kirche vor dem zentralen Denkmal für die Opfer von Auschwitz und Birkenau. Den Abschluss der Gedenkfeier bildete schließlich das Aufstellen von Kerzen ebendort, so dass am Ende ein Lichtermeer in der nebeligen Nacht entstand, was ein sehr ergreifendes Bild war.

Danach, als wieder etwas Entspannung auf der Arbeit eingekehrt war, stand im Grunde auch schon das Zwischenseminar von pax christi in Berlin an. Ich habe die Gelegenheit genutzt und vorher Hanna und Johannes in Kreisau besucht, das für mich im Grunde auf der Wegstrecke lag. Von dort aus sind wir einen Tag nach Breslau gefahren und die beiden waren so nett, mir die wirklich sehr schöne Stadt mit allen Sehenswürdigkeiten und besonderen Ecken zu zeigen. Viel besser, als jeder Touriguide es je hinbekommen hätte!

Das Seminar in Berlin war eine wirklich tolle Woche und hat mir einige neue Denkanstöße beschert, wobei es natürlich am besten war, alle anderen wieder zu treffen, mehr über ihre Einsatzstellen und Gastländer zu hören und natürlich auch zu erfahren, wie es ihnen dabei geht und sich über die Erfahrungen im Dienst auszutauschen. Ich denke, ich kann ehrlich sagen, dass es dort kein einziges Gespräch gab, bei dem ich mich in irgendeiner Form gelangweilt habe.

Wieder in Oswiecim und zurück im Arbeitsalltag durfte ich neben der üblichen Arbeit von Programmplanung und Gruppenbetreuung ein Projekt für die Bildungsabteilung des Zentrums für Dialog und Gebet übernehmen, in dem es um das ehemalige Interessengebiet Auschwitz und in diesem noch stehende, authentische aber nahezu nicht bekannte Gebäude geht. Dazu gehören unter anderem das ehemalige SS-Stabsgebäude, das heute eine Hochschule ist, oder die „Schutzhaftlagererweiterung“, eine, wie der Name sagt, 1942 gebaute Erweiterung zum Stammlager Auschwitz I, die heute ganz normale Wohnungen beherbergt. Dazu stelle ich nun Informationen zusammen, um diese für Besucher*innen des Zentrums in Form von einer Führung oder Broschüre zugänglich zu machen. Dabei habe ich viele Sachen entdeckt die ich, obwohl ich jetzt schon über ein halbes Jahr in Oswiecim lebe, noch nicht über die Umgebung hier wusste, weshalb die Recherche dazu sehr interessant für mich ist. Auch verdeutlicht sie nochmal, wie umfassend, bis ins Detail geplant und dabei trotzdem größenwahnsinnig die Pläne der Nationalsozialisten für „Auschwitz“ waren.

Zudem habe ich hier immer wieder die Möglichkeit, Veranstaltungen zu besuchen, die über den eigentlichen Rahmen meiner Arbeit als Freiwillige in Oswiecim hinausgehen. So konnte ich am „Kulturpolitischen Salon” des deutschen Generalkonsulates in Krakau teilnehmen, der in ebendiesem regelmäßig zu unterschiedlichen Themen stattfindet. Dieses Mal stand er unter dem Titel „Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit“, zu dem Autor*innen aus Polen, Deutschland und Syrien Texte vorlasen und diskutierten. Dies war nicht nur aufgrund der interessanten Beiträge und Persönlichkeiten, die anwesend waren, etwas Besonderes, sondern mich hat allein schon die Tatsache an sich sehr beeindruckt, dass solche Treffen, bei denen ein Dialog auf intellektueller Ebene zwischen Deutschen und Polen im Zentrum steht und alle sich als gleichrangige Partner über Kunst, Kultur und Politik austauschen, möglich sind. Zwar klingt das erst einmal wie etwas, das selbstverständlich sein sollte, allerdings hat die Geschichte oft genug gezeigt, dass es das nicht ist – vor weniger als 80 Jahren wurde von den Nationalsozialisten noch auf brutale Weise versucht, die polnische Kultur auszulöschen.

In der Woche vor Ostern ging es dann für das mid-term Seminar der EU nach Torun, eine sehr charmante ehemalige Hansestadt mit vielen Backsteinhäusern und für ihren Lebkuchen in ganz Polen bekannt.

Das Seminar bat zum einen inhaltlich guten Input und die Möglichkeit, Torun und dessen Sehenswürdigkeiten und Museen zu erkunden, zum anderen war es natürlich wieder eine tolle Chance, andere Freiwillige von überall kennenzulernen. Wir haben dabei wirklich schöne Abende zusammen verbracht und schon verschiedene Reisen geplant, um einander zu besuchen und noch etwas mehr von Polen zu sehen.

 

Außerdem habe ich dort meine Mitfreiwillige Hanna wieder getroffen und wir sind nach Ende des Seminars erst einmal zusammen nach Oswiecim gefahren. Das war sehr schön, denn so konnte ich den Ostersonntag zusammen mit Hanna in Krakau verbringen, und abgesehen davon war es sowieso sehr nett, sie über das Wochenenden zu Besuch zu haben.

Zwar musste ich nach Hannas Abreise am Ostermontag arbeiten, allerdings brachte meine Kollegin ein für Polen typisches Osteressen mit. Babka, einen traditionell an Ostern servierter Kuchen, den ich nur weiterempfehlen kann.

Und ich wurde Opfer eines weiteren langjährigen polnischen Brauches, dem Smigus Dyngus, der, zumindest nach der Erklärung, die ich bekommen habe, wohl auf die Ankunft des Christentums in Polen 966 zurückgeht, da dort der damalige polnische Herrscher Mieszko I. am Ostermontag getauft wurde. Und da zu einer Taufe Wasser gehört, soll es angeblich Glück bringen, sich am Ostermontag gegenseitig mit Wasser abzuspritzen. Falls daran etwas dran sein sollte, haben meine Arbeitskolleg*innen jedenfalls ausreichend dafür gesorgt, dass ich im folgenden Jahr sehr viel Glück haben werde.

Mit dem Frühling, der im April mittlerweile endlich in Oświęcim angekommen ist, kamen und kommen jetzt auch viele Gruppen in das CDiM, sodass ich viel mit Führungen in der Stadt, Synagoge und Treffen zu Gesprächen mit Gruppen zu tun habe, was mir aber nach wie vor sehr gut gefällt und auch immer wieder interessant ist. Besonders gefreut hat mich der Aufenthalt einer Gruppe einer berufsbildend Schule aus Barcelona, die zum ersten Mal in Oswiecim und dem CDiM zu Gast war und bei der es meine Aufgabe war, mich um das gesamte Programm zu kümmern. Ich war vorher dementsprechend etwas nervös, was sich aber sofort gelegt hat, sobald die Gruppe vor Ort war, da die begleitende Lehrkräfte sehr viel Energie und Motivation mitbrachten und man sofort merken konnte, dass es ihnen wirklich wichtig war, ihren Schüler*innen die Reise nach Oswiecim zu ermöglichen.

Eine andere Gruppe, von der ich noch etwas schreiben möchte, war nur für einen Tag da, und ich habe sie zum Gespräch getroffen. Ihre Teilnehmenden waren Schüler*innen der Carl Strehl Schule, der Deutschen Blinden Schulanstalt, die ich deshalb erwähne, weil mich die Reflexion und Unterhaltung mit ihnen sehr beeindruckt hat. Obwohl einige von ihnen komplett blind waren und bei ihrem Besuch im Museum also nichts sehen konnten, hatte man bei dem Gespräch nämlich das Gefühl, dass sie eine sehr tiefe Wahrnehmung von dem Ort hatten, weshalb es sehr bereichernd war, ihre Gedanken dazu zu hören.

Am 12. April stand dann mit dem israelischen Holocaust – Gedenktag Yom Hashoa der Marsch der Lebenden an, der dieses Jahr seit 30 Jahren in Oswiecim stattfindet. Im Zuge dieses Gedenkmarsches vom Lager Auschwitz I zum Lager Auschwitz II Birkenau kommen vor allem junge Juden*Jüdinnen aus aller Welt, aber auch Auschwitz – Überlebende und Nicht-Juden*Jüdinnen, die Solidarität zeigen wollen, hierher, um den Opfern des Holocausts zu gedenken und die Erinnerung an diesen Tag wach zu halten. Da dieses Jahr sowohl das 30-jährige Jubiläum des Marsches als auch das 70-jährige Jubiläum der Existenz des Staates Israel anstanden, waren unter den Teilnehmenden auch die Präsidenten Polens und Israels.

Ich hatte die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Freiwilligen daran teilzunehmen, was ein sehr beeindruckendes Erlebnis war. Mit 10.000 Menschen ging es etwa 3 km vom Stammlager nach Birkenau, wo über Lautsprecher die Namen von in Birkenau Ermordeten verlesen wurden.

Außerdem hatten viele Teilnehmende beschriebene Holzschilder dabei, die sie dort in die Gleise, die zu der ehemaligen „alten Judenrampe“ führen, steckten. Darauf standen oft allgemeine Erklärungen, die 6 Millionen ermordeten nicht zu vergessen. Andere hatte aber auch Namen darauf stehen, wie eine junge Amerikanerin, mit der ich mich kurz unterhalten konnte. Sie erzählte mir,  dass sie ihr Schild für Ihre Großmutter Heidi nach Birkenau bringen will, die wie sie sagte „stärkste Frau, die sie kennt“, die während des Krieges aus Berlin von den Nazis nach Birkenau deportiert worden war.

Danach folgte dort ein offizieller Teil auf einer Bühne, die vor dem zentralen Denkmal in Birkenau, zwischen den ehemaligen Krematorien, aufgebaut worden war.

Es sprachen unter anderem die Präsidenten, der Auschwitz-Überlebende Edward Mosberg, und der Mitbegründer und Vorsitzender des Marsches der Lebenden Dr. Shmuel Rosenman. Dabei ging es natürlich darum, die Opfer zu Ehren und die Erinnerung an sie wach zu halten, leider aber auch nicht zuletzt um den heute in Europa immer noch vorhandenen und sogar wieder zunehmenden Antisemitismus, der nicht einfach mit der Befreiung von Auschwitz und dem Ende des Zweiten Weltkrieges verschwunden ist.

Zwischen den Reden gab es zudem Darbietungen verschiedener jüdischer Künstler*innen aus der ganzen Welt.

Den Abschluss in Birkenau bildete schließlich das Entzünden von 7 Fackeln, 6 für die 6 Millionen Opfer und eine für den Staat Israel anlässlich dessen 70-jährigen Bestehens und das gemeinsame Beten des Kaddisch, des jüdischen Totengebetes.

Seit dem 27. April haben wir jetzt außerdem eine neue Ausstellung mit dem Titel: “Verschwundene Welt. Jüdisches Leben in Osteuropa vor der Katastrophe 1939“ im CDiM, die von der Friedensbibliothek und dem Antikriegsmuseum Berlin konzipiert worden ist. Dabei konnte ich zum einen bei der Vorbereitung als auch beim Aufbau mithelfen, so habe ich im Vorfeld Flyer erstellt und Texte für unsere Website darüber verfasst und übersetzt. Einen Morgen lang habe ich gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Friedensbibliothek alles im Zentrum zusammengesetzt und aufgestellt. Da die Ausstellung, die vor allem auf Fotographien von Roman Vishniac basiert, der 1935 bis 1939 Osteuropa bereiste und jüdisches Leben dort in Städten wie Krakau, Warschau oder Lemberg auch den Shtetl genannten Dörfern festhielt, das mit der Shoa unwiederbringlich ausgelöscht wurde, meiner Meinung nach sehr sehenswert ist, war es wirklich schön ein bisschen dazu beitragen zu können, dass sie jetzt im CDiM steht.

Da hier, mit Ende April, auch die letzten drei Monate enden, bleibt mir nur eins zu schreiben:

Wenn die Arbeit hier im Zentrum in den mittlerweile letzten 8 Monaten, eines immer wieder gezeigt hat, dann, dass wir als Menschen alleine nur sehr wenig erreichen können, egal ob es um eine Bildungsfahrt, eine Ausstellung, einen Freiwilligendienst oder, auf lange Sicht, die vernünftige Bewältigung der Vergangenheit, die Verständigung zwischen Völkern und letztendlich Frieden in der Welt geht. Nur wenn wir uns zusammen tun, können wir tatsächlich Dinge erreichen die größer, manchmal auch viel größer sind als wir selbst.

Hast du auch Lust einen Freiwilligendienst in Oświęcim zu machen? Dann bewirb dich bei uns!